Zeit für ein Alternativangebot

“In der Schule wird nie bewertet, wieviel Arbeit und Anstrengung man in eine Sache hineinsteckt. Es geht am Ende immer nur darum, was dabei herauskommt. Sich anzustrengen, obwohl oder sogar, weil man etwas noch nicht so gut kann, findet da keine Wertschätzung. Das ist, was so demotivierend wirkt. Schließlich ist man doch stolz auf die eigene Arbeit, auch wenn man weiß, dass es noch nicht perfekt ist. Das heißt nicht, dass man mit Kritik nicht umgehen kann, sondern dass man Anerkennung für die ersten Schritte braucht und Unterstützung, um sich zu verbessern. Die Noten werden aber nicht als Zwischenfeedback gegeben, sondern oft als finales Urteil. “

Dieses Zitat stammt von einem der14 Jährigen Schüler, mit denen ich im Lauf der letzten 2 Wochen an verschiedenen Schulen Gespräche zum Thema Wohlbefinden führte. Aus den Gesichtern der anderen war dabei deutlich zu lesen, dass sie dem Gesagten dabei voll umfänglich zustimmten.

Eine trauriges und bedenkliches Resümee nach so vielen Jahren von Diskussionen über Feedbackgebung und Benotung auf allen Ebenen des Schulsystems. Es ist umso verstörender, als es eben so offensichtlich zeigt, dass der Fehler ein systemischer ist und nicht bezogen auf eine bestimmte Schule oder eine bestimmte Lehrkraft.

Jenseits der Schlagworte

Die Wurzel des Problems liegt – und dabei möchte ich niemanden langweilen, mit Fakten, die ohnehin bekannt und unumstritten sind – natürlich in der Ausrichtung des Bildungssystems, welches die Anforderungen von Gesellschafts- und Wirtschaftssystem beantwortet. Es reicht also eben nicht, immer wieder mit Veränderungsforderungen an Lehrkräfte und Schulleitungen heranzutreten, die zwar vieles verbessern können, aber eben doch in ihrem Handlungsspielrahmen insofern eingeschränkt sind, als dass sie am Ende den (scheinbaren) Bedürfnissen des Gesamtsystems gerecht werden müssen.

Was auffällt in den Diskussionen der letzten Monate ist, dass die Forderungen nach Veränderungen von allen Seiten immer lauter werden. Mit Schlagworten wie Agilität, Digitalisierung und Verbesserung der Lehrerausbildung wird die eigentlich notwendige Diskussion jedoch überdeckt und an den Rand gestellt.

Ich möchte damit nicht in Frage stellen, dass diese Diskussionen wichtig sind. Gerade wir hier bei Guide and Lead arbeiten seit vielen Jahren mit agilen Ansätzen und unterstützen und sogar leiten Digitalisierungsinitiativen. Nichts destotrotz bleiben Digitalisierung und Agilität (auch wenn sie im besten Fall von dem entsprechenden Mindset getragen werden) nur Werkzeuge, die nun vielfach in das bestehende (und völlig überholte) System “eingepasst” werden und dabei leider oft genug um ihre transformierenden Eigenschaften gebracht werden.

Was nicht passt wird passend gemacht

Das gilt nun leider nicht nur für die Menschen in diesem System, sondern eben auch für die Methoden und Werkzeuge.

Das Grundproblem scheint jedoch sehr viel tiefer zu gehen und wahre Angstzustände zu bereiten.

Nicht selten höre ich in der Beratungssituation, dass “wir nun lieber bei den ganz praktischen Umsetzungen bleiben wollen, bei dem Hier und Jetzt und den Herausforderungen, die uns jetzt betreffen“. Ich würde da auch immer gern zustimmen und tue es auch oft, beispielsweise bei der Lösung ganz konkreter Fragen und Probleme.

Aber das Bildungssystem ist kein System, dass auf das Hier und Jetzt ausgerichtet ist. Im Gegenteil. Es ist ausgerichtet darauf (oder sollte es sein), junge Menschen darauf vorzubereiten mit Herausforderungen umzugehen, die weit entfernt vom Hier und Jetzt liegen und die in ihren Dimensionen nicht absehbar sind.

Und nein, ich verfalle nun nicht in den Tenor derer, die immer nur auf Kompetenzen und Fähigkeiten herumreiten und die Inhalte für nebensächlich erklären.

Ein Alternativangebot ist gefragt

Mir geht es eher darum, zu fragen, was wir denn nun wollen mit unserem Bildungssystem, was wir erreichen wollen und für welche Gesellschaft? Das ist eine Frage, um die man einfach nicht herumkommt, und die so erschreckend ist, weil sie eben so existentiell ist.

Von vielen Seiten höre ich hauptsächlich, was alles falsch ist, was aber fehlt, ist die Antwort auf die Frage, was denn nun aber richtig ist. Wir können nicht weitermachen, ohne diese Frage zumindest in der Richtungsgebung diskutiert zu haben. Auch, weil wir sonst Gefahr laufen, dass diese Frage von anderen beantwortet wird, die dann das Bildungssystem wieder nur als Spielball des Gesamtsystems werden lassen.

Wir haben doch jetzt gerade die Chance auf dem Silbertablet, diese besondere Zeit, die uns auf unsere Grundfesten zurückwirft und genau diese Fragen kristallklar erscheinen lässt:

Zeit für die großen Fragen

1. Welche Art von Wirtschaftssystem ist in Zeiten von Klimawandel, Fluchtwellen, Pandemien und sozialen Unruhen das System, in dem wir weiterleben wollen?

In dem wir einen Wohlstand für alle (auch und gerade im globalen Süden) sichern können, ohne weiterhin Menschen und Umwelt auszunutzen und zu schädigen. Es ist dieses Wirtschaftssystem, dass als Empfängersystem des Bildungssystems systemisch so hoch relevant ist. Wie können wir Bildungstransformationen ernsthaft diskutieren, ohne dies zumindest diskutiert zu haben?

2. Welche Art von Gesellschaftssystem ermöglicht uns allen ein menschenwürdiges, bewusstes und erfüllendes Leben?

Welches sind die grundsätzlichen Werte, auf die wir uns (auch global) einigen können und die uns weiter voran bringen? Wollen und können wir es uns als Gesellschaft weiterhin leisten, dass einige wenige (Firmen/ Medien/ Lautstarke) ethische Werte und Normen ungehindert für sich interpretieren und mit den Umsetzungen, die darausfolgen uns alle (und oft genug ohne unser Wissen oder Zustimmung) um unsere Rechte (wie nach Privatsphäre, Mitbestimmung, Information etc.) bringen?

Wir müssen uns Gedanken machen, welche Gesellschaft wir entwickeln und auf welcher ethischen Grundlage, damit wir unser nächsten Generationen darauf vorbereiten können, sie empowern und stärken können, damit sie als Selbstführende später auch noch etwas haben, dass sich zu übernehmen lohnt.

3. Und wohin wollen wir uns überhaupt entwickeln, was ist das Ziel, wo wollen wir hin und was ist es uns wert dorthin zu gelangen?

Natürlich kann kein ganz konkretes Ziel benannt werden, aber eine Richtung und die Rahmenbedingungen, auf die wir uns einlassen wollen, schon. Dass uns dies beislang gefehlt hat, zeigen ja die Herausforderungen, mit denen wir nun zu kämpfen haben und die wir auch ganz bewusst annehmen wollen und wahrscheinlich müssen. Aber um das tun zu können, muss klar sein, was wir wollen und nicht nur, was wir nicht wollen.

4. Und wer ist mit “wir” gemeint? Wen wollen wir einbeziehen und wen nicht und wenn nicht warum?

In einer globalisierten Welt erscheint es widersinnig solche Diskussionen auf nationaler Ebene zu führen. Denkt man an die Algorithmen von internationalen KI gesteuerten Produkten wird sehr deutlich klar, dass es Zeit wird, jeden einzubeziehen und grundsätzliche Vereinbarungen zu treffen, um sicherzustellen, dass nicht alles Gesagte nur zu heißer Luft transformiert.

Einladung zu einer kollektiven Antwort

Natürlich kann nicht alles sofort geändert werden und jede Veränderung dauert und braucht die Anstrengung vieler. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, endlich anzufangen und möglichst nicht nur in den eigenen kleinen Kreisen, sondern ganz bewusst in großen Runden.

Und natürlich müssen die Schulen und Firmen erstmal sehen, wie sie mit den tagtäglichen Herausforderungen klarkommen und sicher, alle möglichen Werkzeuge können da hilfreich sein, aber ich denke dennoch, dass mehr Energie darauf verwendet werden muss, die grundsätzlichen Fragen zu diskutieren und Gegenangebote zu schaffen.

Guide and Lead ist seit geraumer Zeit dabei, solche Fragen zu diskutieren und Gegenentwürfe auszuprobieren im Kleinen und auch etwas Größeren. Doch nun wollen wir Sie gern einladen, tiefergehender mit zu diskutieren und damit sicherzustellen, dass am Ende nicht nur jedes Kind sich gesehen fühlt und in seinen Anstrengungen Wertschätzung erfährt, sondern dass wir alle ein besseres Bewusstsein erlangen, für die großen Frage, vor denen wir uns bislang so erfolgreich weggeduckt haben.

Lassen Sie uns teilhaben an Ihren Ideen, Ihrer Meinung und treten Sie mit uns in Kontakt, wenn Sie sich intensiver mit dieser Thematik auseinandersetzen wollen.

Das Alternativangebot ist eine kollektive und auf Zusammenarbeit beruhende Initiative, in der Vordenker aus den Bereichen Bildung, Forschung, Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft, Medizin, Technologie und Philosophie zusammenkommen, um bewusst nach neuen Lösungen und Ideen außerhalb der bestehenden Systeme zu suchen.

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