Der alte Lehnstuhl

Gerade hatte ich einen Call mit einem lieben Coachingkollegen. Ich empfand es als wohltuend zu hören, wie auch er immer wieder von Menschen, die sich ja eigentlich auf einen Transformationsprozess eingelassen haben und neue Wege gehen wollen urplötzlich auf recht plumpe und altmodische Weise so hinterfragt werden, dass es am Ende die gesamte Beziehungsarbeit, die in diese Organisation hineingeflossen ist, gefährdet.

Interessanterweise immer wieder gerade in Organisationen, in denen der Prozess schon so weit fortgeschritten ist, dass die ersten Ergebnisse der Arbeit deutlich werden und zwar allen, inner- und außerhalb der Organisation.

Oft werden diese Erfolge so enthusiastisch gefeiert, dass es scheinbar einzelne Teammitglieder triggert oder reizt, die selbst für sich die innere Transformation in Bezug auf einen Mindshift oder die Hinterfragung  von eigenen Narrativen als so herausfordernd empfinden, dass sie dann lieber den Coach (auch persönlich) angreifen und in Frage stellen.

Die Metapher vom alten Lehnstuhl

Manchem hier wird meine Metapher von dem alten Lehnstuhl bekannt sein, hier kommt sie wieder zum Tragen:

Manche Narrative und Überzeugungen, die wir uns über die Jahre angeeignet haben sind wie ein alter Lehnstuhl, denkt Euch den bequemsten Ohrensessel aus Großvaters Zeiten.

Der Lehnstuhl ist sehr groß, er ist durchgesessen und die Bezüge sind schon an vielen Stellen durchgescheuert. Eigentlich steht er permanent im Weg und passt überhaupt gar nicht mehr in die Einrichtung.

Dann entscheidet Ihr Euch in einem Moment des Mutes, den Lehnstuhl auf den Dachboden zu bringen. Ihr seid so stolz auf Euch. Und das war auch mächtig anstrengend, denn der Stuhl ist ja so schwer und unförmig.

Und dann kommt Ihr zurück in das Zimmer und seid begeistert. So viel neuer Raum! So viel Platz um kreativ zu sein und Ihr bemerkt erst jetzt, wie sehr der Stuhl den Raum blockiert hat.

Besucher kommen und gratulieren Euch, sie finden, dass der Raum nun eine ganz neue positive Energie hat.

Und Ihr freut Euch darüber. Und doch ist da auch dieses Gefühl von Unsicherheit in Euch.

Ihr schaut Euch neue Möbel an, Möbel, die flexibel sind, die Eure Bedürfnisse und die Eurer Mitbewohnenden gut beantworten können. Möbel, die gut für Euren Rücken sind und die ästhetisch gut in Raum passen.

Diese Möbel sind allerdings teuer oder müssen noch zusammengesetzt werden, oder haben eine lange Lieferzeit.

Vor allem aber sind sie nicht der alte Lehnstuhl.

Und während Ihr seht, dass alle um Euch herum sich schon an den neuen Raum gewöhnen und ihn nutzen, erleben und genießen, denkt Ihr nur an den alten Stuhl.

Immer öfter.

Und dann sagt Ihr Euch, „ach, ich geh ihn mal besuchen, er ist ja noch im Haus“. Ihr hattet früher schon einmal prüfen lassen, ob man ihn nicht restaurieren könnte und dabei gelernt, dass das zwar ginge, aber sehr aufwendig wäre und vor allem, ja dann der Stuhl immer noch genauso viel Raum einnehmen würden und blockieren würde.

Das alles bedenkt Ihr, als Ihr die Treppe zum Dachboden hinaufsteigt.

Und dann seht Ihr ihn da stehen. Ihr bemerkt, wie aus dem Sitzkissen eine Feder sich durchbohrt und wie schäbig er aussieht, gerade nach der Zeit, als Ihr ihn nicht gesehen habt. Und Ihr denkt, „vielleicht ist es ja doch ganz gut, dass er nicht mehr unten steht.“

Doch dann setzt Ihr Euch hinein. Der zerschlissene und durchgesessene Sitz hat genau die richtigen Falten an den richtigen Stellen, angepasst an Euren Körper durch das jahrelange Sitzen. Eure Hände gleiten ganz automatisch auf die speckige Armlehne, Euer Kopf rutscht wie von selbst in die kleine Kuhle in der Kopfstütze, die so wunderbar genau passt.

„Wieso soll ich mich mit Neuem quälen, wenn ich hier genau weiß, was ich habe?“ denkt Ihr Euch.

Und Ihr werdet böse auf die Person(en), die Euch zu einer Veränderung geraten haben. Sie sind schließlich daran Schuld, dass Ihr jetzt allein auf dem Dachboden sitzt, während von unten fröhliches Lachen nach oben dringt.

Störungen von Transformationsprozessen in Organisationen

Natürlich ist das überspitzt dargestellt und doch ist es etwas, dass ich energetisch immer wieder erfahre, wenn Menschen in Organisationen ganz plötzlich wieder zurückfallen in alte (Denk)muster und Gewohnheiten und plötzlich sehr negativ eingestellt sind, gegen die Personen, die (scheinbar) dafür verantwortlich sind, den nötigen Wandel zu bringen.

Die Mittel sind dann oft geprägt von einer solchen zerstörerischen Aggression, dass es die ganze Organisation braucht, um dort hindurchzugehen und gestärkt zu überstehen. Das ist nur möglich, wenn die Organisation achtsam wehrhaft ist. Wenn sie die Ängste anerkennt, ohne sich selbst den Ängsten des Einzelnen zu unterlegen.

Es ist auch der Moment, an dem die Organisation aus sich heraus handeln muss, denn die coachende Person kann nicht coachen und sich selbst verteidigen gleichzeitig.

Insgesamt zeigt sich hier, inwieweit wirklich eine echte tiefgreifende Transformation gewollt ist.

Leider ist das oft der Punkt, wo auch eine Organisation anstatt durch den Schmerz zu gehen, sich in alte Verhaltensmuster zurückzieht. Dann bleibt oft nur der weg, Zeit zu geben und zu hoffen, dass später sich noch eine Tür öffnet, um die Beziehungsarbeit in der Organisation noch einmal von vorn zu beginnen.

Denn am Ende gelingt keine Transformation ohne intakte, starke Beziehungen.

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